Zur Forensik geheimdienstlicher Medien und ihrer Archive

[On the Forensics of Intelligence Media and Their Archives]

23. September 2021
Panel von Sophia Gräfe, Sylvia Sasse und Lisa Stuckey: Zur Forensik geheimdienstlicher Medien und ihrer Archive.
GfM-Tagung 2021 (Gesellschaft für Medienwissenschaft) Wissensökologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Zur Forensik geheimdienstlicher Medien und ihrer Archive

Spionagewissen ist operativ und performativ, sofern Nachrichten und Informationen nicht nur übertragen, sondern ebenso generiert, gestört und beeinflusst werden. Als Wissen erster Ordnung, das immer schon ein Gegenwissen umfasst, steht es in unmittelbaren Gebrauchszusammenhängen – seit der Moderne insbesondere in Bezug auf nationalstaatliche Komplexe von Macht und Ideologie. Die kultur- und medienhistorische Beforschung geheimdienstlicher Praktiken sowie Open-Source Intelligence birgt epistemische und historiografische Herausforderungen. Die Selbstdokumentation geheimdienstlichen Wissens und ihr genuiner Entzug müssen stets berücksichtig werden. An diesem Wissen zweiter Ordnung knüpft das geplante Panel an und widmet sich der medien- und kunstwissenschaftlichen Forschungsarbeit an historischen und zeitgenössischen (Geheimdienst-)Akten. Wenn „alles, was als nicht einmalig, nicht mehr rechtserheblich und/oder als historisch wertlos eingestuft“ ist, kassiert und geschreddert wird (vgl. Doßmann 2018), ist es mitunter genau jene Fokusverschiebung vom Archivschatz zum Datenabfall, welche im einzelnen Fall ein medienwissenschaftliches Interesse an sensiblen Sammlungen geheimdienstlichen Wissens begründet: Zu ihrem Inhalt addieren sich dokumentarische Taxonomien, Auslassungen, Verstellungen etc.
Die Vorträge des Panels nehmen eine Bild- und Medienforensik operativen Spionagewissens in drei Fallstudien vor – in chronologischer Reihenfolge von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart. Sophia Gräfe beleuchtet mit der Figur der „Unschärfe“ Observationsfilme des ehemaligen Ministeriums für Staatssischerheit (MfS) und deren Archivierung. Sylvia Sasse untersucht den Aspekt der operativen Performativität am Beispiel osteuropäischer Geheimdienste während des Kalten Kriegs; die wechselseitigen Einflussnahmen von Künstler_innen und Agent_innen lenken den Blick auf Geheimdienstarbeit als „performative Zensur“, die nicht nur verbietend, sondern auch aktiv in künstlerische Happenings eingriff. Lisa Stuckey reflektiert schließlich die politische Metaphorik der medienforensischen Open-Source Intelligence in den Ermittlungsvideos von Forensic Architecture; in ihrer Betrachtung kommt sie insbesondere kollaborativen Arrangements und digital divides zwischen Zeug_innenschaften und Detektivagentur auf die Spur.

Vortragende:
M.A. Sophia Gräfe // Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg
Prof. Dr. Sylvia Sasse // Slavisches Seminar, Universität Zürich
Dr. Lisa Stuckey // Institut für Kunstwissenschaften, Universität für angewandte Kunst Wien

Moderation:
Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Quendler // Institut für Amerikastudien, Universität Innsbruck

Panelkonzeption:
Dr. Lisa Stuckey

Speaking, CurrentLisa Stuckey